Demoszene – mit 64KB zum Weltkulturerbe
Communities oder Szenen entlang von Computertechnologien sind beliebt. Eine Szene bestehend aus Hobbyisten hat in den 70er und 80er Jahren mit den ersten selbst gebastelten Computern für Privatanwender experimentiert. In den 80ern und 90ern begannen C64 Nutzende, Amiga-Fans, Atari ST oder Schneider CPC Leute die Grenzen der Leistungsfähigkeit ihrer Geräte auszureizen und heute noch beeindruckende Demos zu erstellen. Die heute noch aktive Demoszene, beleuchten wir im Gespräch mit Andry Joos, dem Präsidenten von „Echtzeit – Digitale Kultur„. Echtzeit organisiert verschiedene Veranstaltungen von und für die Demoszenem, z.B. die „Demonights“ am 30.10 in Zürich an der MakeZürich.
Was ist die Demoszene und wie kam sie zu ihrem Namen?
Andry: Die Demoszene ist aus einer der ersten und ältesten Computer-Communities entstanden. In den frühen 80ern war es normal, dass Spiele kopiert und weitergegeben wurden – sei dies auf dem Pausenplatz in der Schule oder später via BBS-Verbindung. Die Leute, welche die Spiele kopiert haben, gründeten Gruppen, meistens rund um ein paar fähige Cracker, ergänzt mit Swappern (Tausch-Kurieren). Diese Gruppen wollten zeigen, dass sie neben dem Cracken von Spielen auch die Programmierung der Computer im Griff haben: Bevor die Spiele gestartet wurden, konnte man also das Gruppen-Logo sehen, Texte (Scrolltexte) lesen und Musik hören – viele kennen das sicher noch aus ihren frühen Computer-Tagen. Diese Vorspann-Animationen haben sich irgendwann emanzipiert, vom Cracker-Umfeld gelöst und so entstand die Demoszene: Eine Community, die sich ganz auf die Erstellung von Echtzeit-Animationen konzentriert hat. Die Gruppen scharten sich nun um begnadete Programmierer und setzten sich ausserdem aus Musikern, Grafikern und Designern zusammen. Der Wortteil «Demo» hat nun gar nichts mit Politik und Steinewerfen zu tun, sondern bezieht sich auf «demonstrieren» im Sinne von «zeigen, was man kann» oder «zeigen, was ein bestimmter Computer kann». Über die Jahre hat sich auch die Demoszene über alle möglichen Plattformen ausgebreitet und produziert «Demos» (Animationen) am Laufmeter.
Die Demoszene hat auch gewisse Regeln entwickelt. Welche? Weshalb?
Andry: Zu Anfangszeiten der Demoszene war die verwendete Hardware noch Einschränkungen unterworfen (wenig Speicherplatz, limitierte Grafik-Möglichkeiten und aus heutiger Sicht langsame Prozessoren), und die Programmierer stiessen mit ihren Werken oft an die Grenzen der Systeme; nicht selten haben sie diese dabei auch verschoben. Das hat sich gegen Ende der 90er Jahre verändert: Die Rechner leisteten nun so viel, dass selbst anspruchsvolle Demos selten – und Ausnahmen bestätigen heute noch die Regel – die volle Power nutzen konnten. Irgendwann begab es sich nun, dass man, um eine grössere Herausforderung zu erreichen und weil die Rechner selten mehr eins zu eins vergleichbar waren, künstliche Grenzen einführte. Es gibt heute noch Wettbewerbe mit der Limitierung auf 64 oder sogar 4 Kilobyte für ein ausführbares Programm, das aber locker 3,4 Minuten Grafik und Musik produziert.
Was sind aus deiner Sicht die aktuellen Top-Demos?
Andry: Die Demos sind oft auf YouTube betrachtbar, wer gerne will, kann aber alle auf auf seinem PC (oder halt auf seinem C64) laufen lassen und kann erst so in voller Konsequenz erfahren, was Demos ausmacht.
Eine sehr aktuelle Produktion aus dem Jahr 2020, die eigentlich alles hat, was eine tolle Demo ausmacht, ist “VX2” von “Spectrals”: Läuft auf Windows und besticht durch ein konsistentes Thema und eine schon fast professionellen Umsetzung.
Details: https://demozoo.org/productions/277304/
Wer eher auf alte Hardware steht darf sich die C64 Demo “Memento Mori” von “Genesis Project” nicht entgehen lassen. Sie wurde am 19. September an der “Function”-Demoparty in Ungarn veröffentlicht.
Details: https://demozoo.org/productions/284031/
Aktuell gibt es den Trend zur Disziplin von Demo-Produktionen in wenigen Bytes, z.B. 256 Bytes “Intros” – es ist extrem beeindruckend, was die Coder mit so wenig Speicherplatz alles anfangen können, z.B. “Memories” von “Hellmood/Desire”.
Details: https://demozoo.org/productions/277060/
Alle Produktionen werden jeweils auf https://demozoo.org/ veröffentlicht und sind immer von www.scene.org herunterladbar. Eine tolle Präsentation der besten Produktionen gibt auf der kurierten Liste https://curio.scene.org/
Wo sitzen die TeilnehmerInnen der Demoszene? Wie und wo tauscht ihr euch aus? Global, regional, lokal? Virtuell?
Andry: Wie in vielen computerbezogenen Communities, sind auch in der Demoszene die Frauen in der Unterzahl. Die «Teilnehmer» nennen sich selber Szener oder Demoszener und kommen aus der ganzen Welt. Sie bilden Gruppen, um zusammen an ihren Produktionen zu arbeiten. Diese Gruppen waren früher stark regional geprägt, aber international bekannt. Dies ist manchmal auch heute noch so, aber dank des Internets sind «virtuelle» und längerübergreifende Gruppen heute sogar die Norm.
Ein ganz wichtiger Teil der Demoszene ist aber auch in der heutigen Zeit das persönliche Treffen – dafür gibt es die sogenannten «Demoparties». Diese finden regelmässig in vielen verschiedenen Ländern und Locations statt, dauern meistens ein ganzes Wochenende und sind Treffpunkt für die Demoszener aus der näheren oder weiteren Umgebung. Nebst dem sozialen Aspekt dieser Veranstaltungen gibt es dort auch Wettbewerbe in verschiedenen Kategorien. In der Schweiz finden regelmässig und mehrmals jährlich die “Demonights” statt – es werden die neuesten (oder auch ältere) Produktionen gezeigt und darüber diskutiert, in der Form ähnlich einem MeetUp. Ab Februar 2021 findet endlich auch in der Schweiz wieder eine richtige Demoparty start: Mit “MountainBytes” lanciert Echtzeit – Digitale Kultur die Fortsetzung der erfolgreichen Demodays/Buenzli-Demoparty-Reihe. Die aktuelle Situation mit Covid-19 & Co. erschwert aber natürlich der Demoszene die physische Zusammenkunft, gerade auch aufgrund der internationalen Natur der Community.
Wohin entwickelt sich die Demoszene und wo steht sie in 5 Jahren? Wird ihre Kunst ausgestellt oder wird es einfach eine andere App in den überfüllten App-Stores?
Andry: Totgesagte leben länger: Seit vielen Jahren wird das Ende der Demoszene prophezeit und doch gibt es sie immer noch und mehr denn je. Die Demoszene verändert sich, verschmilzt mit anderen Communities und löst sich wieder davon, bereichert oder ernüchtert.
Ob in der Demoszene Kunst im herkömmlichen Sinn produziert wird, ist eine Streitfrage – ohne Frage aber entstehen mediale, audiovisuelle Produktionen, die je nach Thema, Inhalt und Absicht der Produzenten durchaus Kunst sind oder einen künstlerischen Anspruch haben. Demos werden aber meistens nicht mit der Absicht programmiert, als Kunstwerk zu gelten – viele dienen einfach der Unterhaltung und sind dazu da, zu tun, was ihr Name vorgibt: Zu zeigen, was der Programmierer, der Musiker oder der Designer so alles können. Bereits jetzt finden sich aber immer wieder Installationen aus Kreisen der Demoszene in Ausstellungen, und auch einzelne Demos, die Zeitgeist oder Techno-Status widerspiegeln, fanden ihren Weg in Museen oder Themen-Ausstellungen. Um Appstores kümmert sich die Demoszene nicht – das Zielpublikum ist aufgrund des erschwerten Einstiegs (was ist der Unterschied von einer «herkömmlichen» Animation zu einer Demo, und was soll an letzterer so toll sein?) nicht der App-Store-Nutzer, sondern in erster Linie andere begeisterte Computer-Enthusiasten.
Die Demoszene ist auf dem Weg zum Weltkulturerbe. Was ist der aktuelle Stand? Was heisst es für euch?
Andry: Wie angesprochen – ob Demos nun Kunst sind oder nicht ist nicht klar zu beantworten. Auf jeden Fall haben die Produkte der Demoszene einen kulturellen Wert. Weil die Demoszene als digitale Subkultur bereits alt ist, ja vielleicht sogar die älteste digitale Community darstellt, ist dieser Wert sogar kulturhistorisch relevant. Das zum Anlass nehmend, haben einige engagierte Demoszener, unterstützt von Vertretern und Vertreterinnen aus artverwandten Communities oder Institutionen, die Initiative “Demoscene – the Art of Coding” gestartet. Das Ziel davon ist es, die internationale Demoscene als erstes digitales Weltkulturerbe der UNESCO vorzuschlagen.
Dieser Weg beginnt aber auf nationaler Ebene und darum geht es zur Zeit darum, in möglichst vielen Ländern für die Demoszene den Status eines Kulturerbes zu erlangen. In der Schweiz bedeutet dies, dass man es auf die “Liste der lebendigen Traditionen” schaffen muss. Ein Vereinsziel von Echtzeit ist es, die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Demoszene in der Schweiz als valable Tradition für diese Liste zu positionieren. Wir wollen das erreichen, indem wir Zeitzeugen aus den letzten Jahren um Statements bitten und so die Geschichte der Demoszene in der Schweiz dokumentieren – dies auch im Bezug auf internationale und historische Zusammenhänge. Der Anspruch “lebendige Tradition” muss zudem durch aktuelle Produktionen, regelmässige Veranstaltungen und neuen Mitglieder der Community legitim werden.
In Finnland ist dies bereit gelungen, in Deutschland steht die Entscheidung kurz bevor. Fortgeschrittene Bestrebungen in die gleiche Richtung gibt es auch in Italien, Polen, Frankreich und weiteren europäischen Ländern.
Und wo und wann kann ich mir das einmal Live ansehen?
Andry: Mit unserem Verein Echtzeit – Digitale Kultur sind wir bestrebt, regelmässig die Möglichkeit zu schaffen, die Produktionen live anzusehen und darüber hinaus natürlich auch mit Mitgliedern der Demoszene-Community in Kontakt zu treten. Als ideale Form dafür hat sich unser Format der “Demonights” erwiesen. Diese finden ca. vier Mal jährlich statt – hauptsächlich in Bern, aber gerne auch in anderen Städten, sofern sich Veranstalter dafür finden. Eine klassische Demoparty findet bald auch wieder statt – mit “MountainBytes” in Cham/Zug gibt es im Februar 2021 die Gelegenheit, die Demoszene live zu erleben.
In Zürich findet als Teil des MakeZürich Hackathons am 30.10.2020 die “Demonights 011” statt. Eine gute Gelegenheit, sich die Sache mal anzuschauen und das natürlich nicht nur, wenn man bereits am MakeZürich Hackathon teilnimmt
Das Gespräch ist eine aktualisierte Version des Medienkulturgespräches in der Fabrikzeitung von 2014 von Daniel Boos mit Andry Joos.
Links
1. VX2 by Spectrals: Moderne Hochglanz-Demo (Windows, 2020) – https://demozoo.org/productions/277304/
2. Memento Mori by Genesis Project: Der C64 powert heute immer noch (C64, 2020) – https://demozoo.org/productions/277304/
3. Memories by Hellmood/Desire – Wahnsinnig viel Inhalt in bloss 256 Bytes (MS-DOS, 2020) – https://demozoo.org/productions/277060/